Die drei Zeichen
Übelwollende Kritiker werfen den Aktivisten der Bewegung „Die letzte Generation“ vor, daß ihre Unternehmungen letztlich dem Klima mehr schaden als nützen würden. Denn mit dem Herumwerfen von Lebensmitteln und dem Sichfestkleben auf Straßen brächten jene Aktivisten die Menschen nur gegen sich auf – und damit alle Anstrengungen, den weltweiten Klimawandel aufzuhalten, in Verruf.
Diese Kritik blendet allerdings beharrlich aus, daß sich tatsächlich immer mehr Menschen bemühen, durch eigenes Handeln ihren Beitrag in diesem Kampf zu leisten. Sicher, zwar wurden in Berlin, wie das Amt für Statistik kürzlich mitteilte, 43,3 Prozent mehr Neuwagen zugelassen als im Vorjahr, aber ist das so schlimm? Ein Jahr hat bekanntlich zwölf Monate, das macht dann pro Monat nur eine Steigerung von 3,6 Prozent – und das ist immer noch ein Prozent weniger als der Stimmanteil der FDP bei der letzten Wahl zum Abgeordnetenhaus, also ziemlich wenig. (Die vorgeführte Rechenfertigkeiten sollten übrigens allen Apokalyptikern eine Warnung sein – so schlimm steht es gar nicht um unsere Bildung!)
Doch ja, angesichts solcher Statistik hat jenes gesteigerte Bewußtsein vielleicht noch nicht ganz die Breite der Gesellschaft erreicht – dennoch bleibt unleugbar, daß es immer mehr Bereiche erobert. Wie dem Berliner Tagesspiegel zu entnehmen war, hat es nun sogar eine Welt erreicht, die den meisten nur aus dem Kino bekannt ist – die Welt des Verbrechens …
Was ist geschehen und vor allem, was bedeutet es?
In einem Discounter in der Kiefholzstraße in Berlin-Plänterwald (es ist nicht schlimm, wenn Sie von diesem Stadtteil noch nie gehört haben), wurde der Marktleiter auf einen sich seltsam verhaltenden Kunden aufmerksam. Als er ihn ansprach, nahm dieser Kunde ihn in den Schwitzkasten – und das ist das erste Zeichen des neuen Bewußtseins. Weder griff er zu einer industriell gefertigten Pistole noch zu einem Messer aus Massenproduktion, sondern er besann sich auf die Möglichkeiten, mit der Mutter Natur ihn ausgerüstet hatte.
Ein anderer Kunde eilte dem Marktleiter zur Hilfe und wiederum griff der Schwitzkastenmann nicht zu irgendwelchen ausbeuterisch und kolonialistisch hergestellten Industriegütern, sondern zauberte eine Holzlatte aus seiner Hose (wer an dieser Stelle anzügliche Gedanken hat, sollte unbedingt über eine Therapie nachdenken, besonders wenn er außerdem noch ein Rammstein-Fan ist). Diese Holzlatte stammte höchstwahrscheinlich aus nachhaltiger Holzwirtschaft, zumindest lassen die allgemeinen Umstände das vermuten – und das ist das zweite Zeichen.
Der Schwitzkastenmann mit der Holzlatte forderte im Anschluß, daß der Tresor für ihn geöffnet werde, was aber fehlschlug. So floh er. Das jedoch weder mit einem bösen Verbrennerauto noch mit dem öffentlichen Nahverkehr (was in Berlin ohnehin gewagt gewesen wäre), sondern mit dem nachhaltigsten Fluchtfahrzeug, das man sich denken kann: einem Fahrrad – und das ist das dritte Zeichen.
Wer diese Zeichen nur richtig zu deuten vermag, der kann sich unmöglich der Tatsache verschließen, daß wir hier Zeugen des vielleicht ersten nachhaltigen, klimafreundlichen Verbrechens geworden sind! Nur bei seinem Ansinnen, den Tresor zu plündern, war der Mann offenbar noch in der kapitalistischen Verwertungslogik gefangen – doch das macht er bei der nächsten Tat bestimmt besser.
Der Schwitzkastenmann mit Holzlatte auf dem Fahrrad wurde übrigens nicht verhaftet, sondern entkam. Doch selbst wenn er erwischt worden wäre, hätte das sicherlich keine ernsthaften Konsequenzen für ihn gehabt, denn klimafreundliche Kriminalität wird in Berlin gewöhnlich nicht ernsthaft bestraft.