Taliban
Eine Stadt, von der man sonst nicht besonders viel hört, hat es geschafft, sich ins Zentrum der öffentlichen Empörung zu manövrieren – Stralsund. Dort fand im örtlichen Theater am letzten Donnerstag ein philharmonisches Konzert statt, das ein lesbisches Paar leider vorzeitig verlassen mußte, hinausgeworfen von einer Mitarbeiterin des Theaters, weil es sich nämlich geküßt hatte!
Nun erwartet wohl kaum jemand, daß eine Stadt in Vorpommern die Heimstatt der gesellschaftspolitischen Avantgarde ist, doch daß Derartiges dort noch geschieht, ist schlicht unfaßbar! Bei diesem Rauswurf sollen Worte gefallen sein, die ganz böse waren. Daran besteht offenbar keinerlei Zweifel in der Berichterstattung, auch wenn nirgendwo auftaucht, welche Worte denn nun tatsächlich gefallen sind – doch solcherlei Details vernebeln am Ende nur die grundsätzliche Schandhaftigkeit dieser Tat.
Ja, die beiden haben sich wohl nicht nur geküßt, sondern während der Vorstellung auch noch getrunken und eine Unterhaltung geführt, wodurch sich wiederum andere Zuhörer:innen gestört fühlten, was schließlich zu besagten Rauswurf führte – aber das ändert überhaupt nichts. Was ist denn gegen ein Schlückchen einzuwenden? Und darf man sich jetzt nicht einmal mehr unterhalten? Und was sind das überhaupt für Zuhörer:innen, die sich da gestört fühlten? Wenn die unbedingt ihre Ruhe haben wollten, hätten sie nicht in ein Konzert gehen dürften, sondern wären besser gleich zu Hause geblieben. Nein, man kann es drehen und wenden, wie man will, es ist genau so, wie der ehemalige Bundestagsabgeordnete Niema Movassat (Die Linke) in diesem Zusammenhang auf Twitter schrieb: „Wir leben wahrlich in dunklen, intoleranten und gefährlichen Zeiten.“
In einem zweiten Beitrag schrieb derselbe Autor: „Solange in diesem Land nicht Taliban oder ein prüdes Regime regiert [sic], darf man sich küssen, wo man will.“ Ganz genau, guter Mann! Doch die Taliban regen sich überall, also im übertragenen Sinne – allzu oft erheben Inkarnationen von Intoleranz und Illiberalität ihre häßlichen Häupter. Denn das, was sich in Stralsund abgespielt hat, ist ja nicht der einzige Angriff auf eine Welt frei von Diskriminierung, Sexismus, Rassismus und so weiter, keineswegs!
Dabei scheint gerade die Kulturbranche ein finsterer Hort des Ewiggestrigen zu sein, und das offenbar in allen Disziplinen. In der Filmwelt hinterließ Til Schweiger eine Spur mackermäßiger Verwüstung, in der Musikwelt ließ Till Lindemann sich am laufenden Band Sexobjekte zuführen, beim Ballett wurde gequält und traumatisierst, und wie stehen die Dinge in der Welt der Literatur? Rassismus, Kolonialismus und Sexismus, wohin des Lesers Auge blickt. Angesichts dieser Anfechtungen hat die abnehmende Lesekompetenz tatsächlich auch etwas für sich.
Nun gibt es ja Vorstöße, dagegen vorzugehen. Claudia Roth (Die Grünen) dringt auf einen „code of conduct“ für die Filmbranche und droht mit dem Entzug öffentlicher Mittel, Lisa Paus (Die Grünen) will „safe spaces“ auf Konzerten einführen und die Verlage engagieren „sensitivity reader“, die ein Buch vor der Veröffentlichung bereinigen sollen. Doch trotz all dieser coolen englischen Begriffe wird sich so kaum etwas ändern, denn jene Vorfälle und noch viele mehr sind doch vor allem eins: Symptome dafür, daß die ganze Kulturbranche bis ins Mark toxisch ist!
Da gibt es nur eins – den ganzen Laden dichtmachen! Oder zumindest so engmaschig kontrollieren, daß jedes Fehlverhalten sofort entdeckt, jede Abweichung gebrandmarkt wird und die Schuldigen unbarmherzig an den Pranger gestellt werden können. Auf diesem Weg wurden in den letzten Jahren schon schöne Fortschritte gemacht, nur weiter so – dann haben die Illiberalen und Intoleranten bei uns keine Chance!