Anfang und Ende
Im Jahr 2000 wurde von den beiden Wissenschaftlern Paul Crutzen und Eugene F. Stoermer der Begriff des „Anthropozän“ eingeführt. Er war ursprünglich auf die Geologie bezogen und sollte zum Ausdruck bringen, daß wir mittlerweile in einem Zeitalter leben, in dem der Mensch zu einem wesentlichen geologischen Faktor geworden ist.
Von der Geologie aus verbreitete sich dieser Begriff in andere Bereiche der Wissenschaft und fand vielfältigen Eingang in Kultur und Gesellschaft. Grundsätzlich bezeichnet er nun ein Zeitalter, in dem der Mensch wesentlichen Einfluß auf die Geologie, Biologie und Atmosphäre der Erde nimmt.
Wer hin und wieder die Nachrichten verfolgt oder bei achtunddreißig Grad in Deutschland vor die Tür tritt, dem wird auffallen, daß dieser menschliche Einfluß nicht gerade zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen für Mensch und Tier beiträgt. Luftverschmutzung, Erderwärmung, Artensterben, Überfischung, Gletscherschmelze, Korallenbleiche – diese ungeordnete Liste ließe sich lange fortsetzen. Doch es gibt auch gute Nachrichten!
Das die Wissenschaftler quälende Problem, wann jenes Anthropozän denn nun genau begonnen habe, ist endlich gelöst worden! Antworten auf diese Frage gab es bereits eine ganze Reihe. So setzten manche den Beginn gleich mit dem Anheben der industriellen Revolution, anderem mit der Kolonisierung Amerikas, wieder andere mit dem großen Aufschwung nach dem Ende zweiten Weltkrieges, doch das blieb alles ungefähr und keine Antwort war wissenschaftlich gesichert – bis gestern!
Das Anthropozän begann 1950! So einfach ist das. Dabei stammt diese Antwort nicht von irgendwelchen irrlichternden Philosophen oder Kulturwissenschaftler, sondern von den Geologen selbst, genauer gesagt von der Anthropocene Working Group (AWG), einer Arbeitsgruppe unter dem Dach der International Union of Geological Sciences (IUGS). Wer also schon immer fand, daß in der Serie Big Bang Theory der Geologe Bert eigentlich the coolest and sexiest scientist alive, also gleichsam der Brad Pitt der Wissenschaft sei, der sieht sich nun bestätigt, denn er und seine Zunftgenossen stellen nicht nur große Fragen, sie beantworten sie auch.
Dabei wird der Beginn des Anthropozän mit den radioaktiven Niederschlägen gleichgesetzt, die im Rahmen der Atomwaffentests nach dem zweiten Weltkrieg niedergingen, und zwar weltweit, denn nur mit einem weltweiten Ereignis läßt sich der Beginn eines neuen geologischen Zeitalters begründen. Als Referenz dient ein Bohrkern, gewonnen aus dem Lake Crawfort im Südosten Kanadas, der nun eine genaue Datierung solcher Niederschläge zuläßt – auf das Jahr 1950.
Geologen verfügen offenbar über einen fein ausgebildeten Sinn für Ironie, wenn sie den Beginn des menschlichen Zeitalters ausgerechnet an der Erprobung der schlimmsten Waffen festmachen, die die Menschheit jemals hervorgebracht hat – und die noch immer die größte Bedrohung für uns alle darstellen, sind sie doch in der Lage, die Menschheit in wenige Minuten weitestgehend auszurotten und die Erde für Jahrhunderte unbewohnbar zu machen. Vor lauter Klimaapokalypse und terminatormäßiger KI-Bedrohung scheinen wir das irgendwie vergessen zu haben.
Doch wie wie dem auch, da wir nun wissenschaftlich genau wissen, wann unser Zeitalter begann, sei bei dieser Gelegenheit ein Blick in die Zukunft gewagt: Vielleicht werden eines Tages tatsächlich Außerirdische auf der Erde landen und diese verwüstete Welt wird ihr Interesse wecken. Exogeologen werden kommen und ein paar Bohrungen durchführen – und so genau bestimme können, wann das Anthropozän endgültig endete.
Exobiologen, Exoarchäologen und Exoethnologen werden zahlreiche Forschungen anstellen, veröffentlichen und diskutieren. Im Laufe der Zeit werden sie viele interessante Erkenntnisse über die Menschheit gewinnen – das entscheidende Rätsel allerdings wird trotz mannigfacher Versuche ungelöst bleiben: wie konnte eine Spezies, die im Laufe ihrer Geschichte so viel Bemerkenswertes hervorgebracht hat, am Ende nur so dumm sein?