Im Keller
Deutsche Gesetze und Verordnungen genießen den Ruf, nicht nur im Inhalt, sondern bereits in ihrem Titel besonders kompliziert, schwer lesbar und einigermaßen unverständlich zu sein. Doch es geht auch anders.
Nein, damit sind nicht solche Bezeichnungen wie das „Gute-KiTa-Gesetz“ gemeint oder der „Doppel-Wumms“, die offenbar davon ausgehen, daß die meisten Bürger der Bundesrepublik in ihrem Bildungsstand nicht über die Lektüre von Pippi Langstrumpf hinausgekommen sind (was angesichts diverser Diskriminierungen in diesen Texten eine ganze Reihe von Problemen aufwerfen würde – doch darum soll es hier nicht gehen).
Hier soll es um eine Verordnung gehen, die den beispielhaft knackigen Titel trägt: Telekommunikationsmindestversorgungsverordnung (TKMV). Dieses Musterbeispiel einfacher Sprache trat am 17.06.2022 in Kraft und sichert jedem Bürger eine Download-Geschwindigkeit von mindestens 10 Megabit pro Sekunde und eine Upload-Rate von mindestens 1,7 Megabit pro Sekunde zu. (Liebe Bewohner des ländlichen Raumes: bitte nicht lachen, es ist ernst!)
Da diese Bandbreiten vielen allerdings als zu gering und nicht mehr zeitgemäß erschienen, machte die Bundesregierung den Ländern vor der Bestätigung der TKMV im Bundesrat noch folgende Zusicherung: „Die Bundesregierung wird sicherstellen, dass zum Nutzungsverhalten von Mehrpersonenhaushalten ein weiteres Gutachten in Auftrag geben wird [sic!], damit dessen Ergebnisse bereits bei der ersten Evaluierung der TKMV bis Ende 2022 Berücksichtigung finden können. […] Die Bundesregierung will bereits Mitte 2023 die Mindestbandbreite im Download auf mindestens 15 Megabit pro Sekunde und die Mindestbandbreite im Upload anheben.“
Daraus wird nun leider nichts. Denn wie aus der am 18.08.2023 veröffentlichten Antwort auf eine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion hervorgeht (aus der auch das obige Zitat stammt), ist das Gutachten leider noch nicht fertig und kann daher auch nirgendwo einfließen, und damit bleibt alles, nun ja, beim Alten.
Liebe Leute, so kann es doch nicht weitergehen! So wird das nichts mit der „Fortschrittskoalition“. Dieses Kleinklein aus Verordnungen und Gutachten und neuen Verordnungen bringt uns doch nicht weiter, sondern was wir an dieser Stelle wirklich brauchen, das ist eine richtig große Reform! Ansonsten werden die Abgehängten noch weiter abgehängt und die Bitbedürftigen verrotten am Ende im Funkloch.
Da allerdings Wirtschafts-, Bildungs-, Renten-, Verwaltungs- und die anderen dringend notwendigen Reformen viel schwieriger umzusetzen sind als gedacht und sowohl den Wähler als auch die eigene Partei verschrecken könnten, sollte diese große Reform wiederum eine sozialpolitische werden, das ist viel einfacher. Immerhin geht es hier auch im soziale Teilhabe.
Die Details sind noch nicht ganz klar, aber jedenfalls wird es allerhand kosten. 12 Milliarden oder 20 Milliarden, oder sagen wir doch gleich 100 Milliarden. Das hat die Bundeswehr immerhin auch bekommen. Nachdem diese Eckdaten einigermaßen geklärt sind, wie geht es nun weiter?
Die Verfechter werden Argumente dafür auffahren, die Gegner Gegenargumente, woraufhin ihnen vorgeworfen werden wird, ihre Politik ausgerechnet auf dem Rücken der Bandbreitenschwächsten zu veranstalten. Es werden Studien und Gutachten veröffentlicht und von den Medien begierig aufgegriffen werden. Viele werden fragen, wer soll das bezahlen? Der Bundesfinanzminister wird zum Ausdruck bringen, daß zwei sozialpolitische Reformen, von denen jede einzelne die größte seit Jahrzehnten ist, für ein Jahr genug sind – woraufhin er den Trotz der Verfechter zur spüren bekommen wird.
Nach monatelangem Hin und Her wird der Kanzler schließlich mit seiner Kanzlerfaust auf den Tisch hauen – denn wer bei ihm Führung bestellt, der bekommt sie auch! Beide Seiten werden Zugeständnisse machen müssen, die dann jede für sich als Erfolg verkaufen wird. Der Kanzler wird (wie immer) eine „positive Leistungsbilanz“ verkünden, und am Ende wird die „Ampel“ im politischen Dämmerlicht noch heller erstrahlen, als es jetzt schon der Fall ist.
Ach ja, und das Internet? Das bleibt bis auf weiteres dort, wo es gegenwärtig ist – im Keller.