Es gibt nichts Gutes

Wer das liest, glaubt es zunächst nicht. Die neue schwarz-rote Regierung in Berlin plant, den sogenannten Gewahrsam zur Gefahrenabwehr von bisher zwei auf fünf Tage auszudehnen. Erst 2021 hatten die rot-gün-rote Zukunfts- oder Fortschritts- oder so ähnlich-Koalition per Gesetz die Dauer von vier Tagen für einen solchen Präventivgewahrsam auf maximal 48 Stunden herabgesetzt – und nun also Kommando zurück. Ganz abgesehen davon, daß sich damit die neue Regierung selbst als Vergangenheits- und Rückschrittskoalition entlarvt, ist dieses Vorhaben natürlich ein Schlag ins Gesicht aller guten Menschen.

Denn gegen wen richtet sich diese Initiative in erster Linie? Gegen die sogenannten Klimakleber natürlich, gegen die Suppenwerfer (um die es letzthin still geworden ist) und die Kleinflugzeugbeschmierer, also gegen all jene, die doch nur eins wollen: uns und überhaupt die ganze Welt vor dem unmittelbar drohenden Untergang retten! Eine Schande ist das!

Denn diese vorrangig jungen Menschen sind nicht wie wir Gewöhnlichen. Sie sind uns moralisch weit überlegen, ihnen wurde die Zukunft eindeutig offenbart und sie befinden sich in Besitz der absoluten Wahrheit – wer kann das schon von sich sagen? Und diese Lichtgestalten sollen nun also für fünf Tage in den Kerker geworfen werden? Weil sie die Welt und unser aller Leben retten wollen? Bevor sich die Christlich Demokratische Union tatsächlich an dieses verwerfliche Werk macht, sollte sie noch einmal eingehend die Evangelien konsultieren, denn vor gut zweitausend Jahren spielte sich Ähnliches ab … (Und sie sollte sich bald der Lektüre widmen, denn wenn sich die Lesekompetenz weiter so entwickelt, verstehen die Mitglieder der Jungen Union bald nur noch die Bilder in ihrer Kinderbibel.)

Allerdings, irgendetwas muß schon getan werden, denn sonst wird am Ende noch der Klebstoff knapp und dann bricht die Berliner Verwaltung sicher vollends zusammen. Also, was tun? Eine mögliche Lösung könnte sich im Reich der Mitte finden lassen – und nein, damit ist nicht die Parteizentrale der FDP gemeint, sondern die Volksrepublik China, tatsächlich.

Dort ist mittlerweile jeder fünfte junge Mensch arbeitslos, und der große Führer und Vorsitzende Xi Jinping hat kürzlich entschlossen angeregt, diese Unbeschäftigten aufs Land zu verschicken. Bevor sie in den Städten am Ende noch auf dumme Ideen kommen, könnten sie dort helfen, die lokale Wirtschaft in Schwung zu bringen. Auf Initiative des großen Führers und Vorsitzenden Mao Zedong verbrachte Xi Jinping im Rahmen der „kulturellen Umerziehung“ selbst allerhand Zeit in einem abgelegenen Bergdorf, und sagt dazu heute: „Sieben harte Jahre auf dem Land waren ein gutes Training für mich.“

Erst kürzlich forderte die Kommunistische Jugendliga die chinesischen Hochschulabsolventen dazu auf, „ihre Studiengewänder auszuziehen, ihre Hosen hochzukrempeln und auf die Felder zu gehen.“ Nun haben ja viele der sogenannten Klimakleber ihre Studiengewänder bereits freiwillig ausgezogen und auf dumme Ideen sind sie auch schon längst gekommen – der Umzug aufs Land wäre also überfällig.

In den mehr oder weniger unbesiedelten Weiten Brandenburgs oder Vorpommerns könnten sie dort das Leben verwirklichen, zu dem sie alle anderen so gern kulturell umerziehen wollen: frei von räuberischem Kapitalismus, Diskriminierung und Kolonialismus in Tat und Wort. Und während sie zu Fuß in die vierzig Kilometer entfernte nächste Siedlung laufen oder mit dem Lastenrad dorthin zum Einkaufen fahren, können sie das emissionsfreie Leben in Einklang mit der Natur erproben.

Ach ja, auf das Internet in seinen verschiedenen Spielarten müßte in diesem Leben leider verzichtet werden, denn das verursacht weltweit etwas 33 Millionen Tonnen CO2 und ist nach China und den USA der drittgrößte Stromfresser, Tendenz steigend. Überraschendermaßen steht dieser Übeltäter nicht am Pranger der Klimaaktivisten, aber das haben sie wohl einfach vergessen. Wie dem auch sei, für uns alle gilt nach wie vor das Diktum Erich Kästners: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.

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