Verfassungsschützer
In einer Dokumentation, die das „Sachsen-Fernsehen“ heute zeigen wird, äußert sich Christian Bläul, einundvierzig Jahre alt und ein bekanntes Mitglied der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“, in Hinblick auf die sich wiederholenden Verkehrsblockaden folgendermaßen: „Ich bin zumindest im Hinterkopf mental immer darauf vorbereitet, dass in unseren Staus jemand stirbt“.
Insbesondere durch einen Unfall am Ende eines durch die Blockade verursachten Staus könne es passieren, „dass da Menschen sterben, und das ist wirklich schwer zu ertragen, aber es ist etwas, was wir ein Stück weit riskieren müssen“.
Diese selbstgerechte Verachtung des Lebens seiner Mitbürger paßt nur zu gut zu dem, was sich am Samstag im Berliner Regierungsviertel ereignet hat. Mit einer schwarzen Flüssigkeit (die wohl Erdöl sein sollte, aber keins war) beschmierten dort andere Mitglieder derselben Gruppe jene Scheiben, in welche die 19 Grundrechte eingraviert sind, wie sie so im deutschen Grundgesetz stehen.
Diese Grundrechtsartikel sind es vor allem, die jedem einzelnen das Leben in Unversehrtheit und die Lebensführung in Freiheit und (Rechts)Sicherheit garantieren. Sie zu beschmieren, zeugt von derselben selbstgerechten Verachtung, die aus Bläuls Worten spricht – einer Verachtung der elementaren Regeln unseres Gemeinwesens, das die selbsternannten Klimaretter doch vermeintlich vor dem Untergang bewahren wollen.
Doch es ist nicht nur Verachtung, die aus dem spricht, was in Berlin geschah, es ist ebenso eine bemerkenswerte Ignoranz und an Dummheit grenzende Arroganz den Bedingungen gegenüber, die ihren Protest und ihre Aktionen überhaupt erst ermöglichen. Denn jene Grundrechtsartikel gelten eben auch für Bläul und seine Mitstreiter und garantieren so, daß sie ihrem Tun einigermaßen gefahrlos nachgehen können.
Ja, gestern wurden in Heilbronn zwei Mitglieder der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ zu jeweils einer zweimonatigen und einer dreimonatigen Haftstrafe verurteilt. Doch diese Verurteilung stand am Ende eines Verfahrens, das die durch das Grundgesetz garantierten Rechte der Beschuldigten achtete, und die Strafen wurden auch nur deshalb nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde, weil es sich um Wiederholungstaten handelte. Und nach ungezählten Verkehrsblockaden, Essenswürfen auf Kunstwerke und vielen anderen Aktionen sind das überhaupt die ersten Haftstrafen, die jemals in Deutschland in diesem Zusammenhang verhängt worden sind.
In jenen Ländern, in denen die am Samstag beschmierten Grundrechte nur nach Belieben oder gar nicht geachtet werden, wären die selbsternannten Weltenretter mit ihren Farbeimern nicht einmal in die Nähe des Regierungsviertels gekommen – aber dafür sehr zügig in ein überbelegtes Gefängnis, um dort ganz ohne oder nach einem fadenscheinigen Prozeß für lange oder sehr lange Zeit zu bleiben.
Jene beiden Männer, die in Heilbronn verurteilt worden sind, werden nun von ihren Mitstreitern „Verfassungsschützer“ genannt, was die Frage aufwirft, welche Verfassung sie wohl meinen? Das Grundgesetz kann es jedenfalls nicht sein – sonst wäre ja jeder, der ein Denkmal beschmiert, ein Denkmalschützer, und jeder, der eine Blumenwiese umpflügt, ein Naturschützer.